Du klagst schon seit längerem über Hüftschmerzen. Nach einiger Zeit beschließt Du Dich für einen Arztbesuch. Dieser schickt Dich zum MRT. Nach Ablichtung deiner Hüfte steht der Befund fest. Sofort wird ein Zusammenhang zwischen dem Befund und deinen Beschwerden hergestellt. Doch hat der Befund tatsächlich einen so großen Einfluss auf die Symptome? Haben die Schmerzen tatsächlich eine ganz andere Ursache?
Arthrose, Impingement, Labrumläsion und Co. – Sind MRT-Befunde tatsächlich verantwortlich für Hüftbeschwerden?
Die aktuelle wissenschaftliche Datenlage zeigt, dass Schmerzen wenig mit Gewebeschäden zusammenhängen. So ist es für deine Symptome weniger entscheidend, ob bei Dir ein MRT-Befund vorliegt oder nicht.
In einer wissenschaftlichen Arbeit nach Chan Kim und Kollegen [1] wurden Hüftschmerzen und röntgenologisch bestimmte Arthrose in Beziehung gesetzt. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Hüftschmerzen in vielen Hüften mit Arthrose nicht vorhanden waren und viele Hüften mit Schmerzen keine röntgenologische Hüftarthrose zeigten. Es konnte also kein Zusammenhang zwischen Arthrose und Schmerzen gefunden werden. Zudem kommen Labrumläsionen und Knorpelläsionen häufig in asymptomatischer Bevölkerung vor. Auch Probanden mit dem MRT-Befund Hüftimpingement zeigen häufig keine Symptome [2].
Doch woher kommen die Schmerzen dann?
Tatsächlich sind Ursachen komplexer. Schmerzen entstehen multifaktoriell. MRT-Befunde spielen hierbei eine eher untergeordnete Rolle. Viel wichtiger sind biologische, psychologische und soziale Faktoren. Man spricht auch vom bio-psycho-sozialen-Schmerzmodell. Zur Veranschaulichung dient folgende Studie nach Westermann und Kollegen [3]:
Im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit wurden die Hüftschmerzen von Patienten mit einem Hüftimpingement vor einer Operation mit Hilfe von Fragebögen erfasst. Bei einem Hüftimpingement handelt es sich um einen Engpass im Hüftgelenk, der zu Schmerzen und Bewegungseinschränkungen führen kann. Nach Auswertung der Fragebögen wurde anhand verschiedener Variablen eine statistische Beziehung zu Hüftschmerzen hergeleitet. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass folgende Variablen einen starken Zusammenhang zu Hüftschmerzen hatten:
#1: weibliches Geschlecht
#2: niedriges Bildungsniveau
#3: Rauchen
#4: schlechte psychische Verfassung
#5: niedriges Aktivitätsniveau
#6: hoher BMI
Pathologische Befunde wie z.B. eine Labrumläsion oder Knorpeldefekte hatten keinen signifikanten Einfluss auf Schmerzen.
Eine weitere Studie nach Summers et al. [4] zeigt auf, dass vor allem psychologische Faktoren einen starken Einfluss auf Schmerzen des Hüft- und Kniegelenks haben.
Multimodale Behandlung von Hüftschmerzen
Wie eingangs erläutert, entstehen Schmerzen multifaktoriell. Diese Erkenntnis sollte bei der Erstellung eines Rehabilitationsprogramms stets im Hinterkopf behalten werden. Im Folgenden wird anhand eines Beispiels erläutert, wie eine multimodale Rehabilitation in der Praxis aussehen könnte. Dazu beschreiben wir einen fiktiven Charakter:
Renate,43, klagt seit längerem über Schmerzen in der Hüfte. Nach einem Arztbesuch hat sie den MRT-Befund “Hüftimpingement” erhalten. Dabei handelt es sich um einen Engpass in der Hüfte. Sie lässt sich operieren, um überschüssiges Knochengewebe abzutragen, um so mehr Spiel im Gelenk zu schaffen. Jedoch hat sie nach der OP noch immer mit Schmerzen zu kämpfen und beschließt sich für ein Personal Training.
Dieses könnte wie folgt aussehen:
Durch ein ausgiebiges Assessment wird ihre Hüfte auf Einschränkungen und eventuelle Dysbalancen überprüft. Stehen die Schwachstellen fest, wird ein individueller Trainingsplan erarbeitet. Dabei kommen nur Übungen in Frage, welche aktuell schmerzfrei durchzuführen sind. Es wird nach dem Prinzip vorgegangen “Tue das, was aktuell schmerzfrei geht, bis Du wieder das machen kannst, was jetzt noch nicht schmerzfrei möglich ist.” Es muss also der individuelle Startpunkt gefunden werden, um die Klientin zu fordern, aber nicht zu überfordern.
Steht der Startpunkt fest, muss ein passendes Progressionsschema ermittelt werden. Die Klientin führt also mit der Zeit immer schwerere Übungen aus, um die Hüfte sukzessive wieder an Trainingsstress zu gewöhnen. Dadurch kann eine systematische Desensibilisierung des Nervensystems stattfinden. Zudem kann die Klientin die Erfahrung machen, dass sie wieder belastungsfähig ist. Dadurch können Bewegungsängste abgebaut werden. Im Prinzip bringt die Klientin durch ihr Verhalten (Belastung des Hüftgelenks mit passendem Stimulus) dem Körper bei, kein Schmerzsignal mehr an das Gehirn zu senden.
Um eine funktionale Hüftbewegung zu gewährleisten, werden die biomechanischen Aspekte der Übungen berücksichtigt. Die Klientin bekommt also gelehrt, wie sich ihre Hüfte funktional bewegt und welche Muskeln dabei beteiligt werden. Eine korrekte Übungsausführung ist dabei unabdingbar.
Des Weiteren sollte ein gesunder, aktiver Lebensstil angestrebt werden. Es empfiehlt sich, in Bewegung zu bleiben, um zum einen das Hüftgelenk durch die Gelenkschmiere beweglich zu halten. Zum anderen sollte einer Sensibilisierung des Nervensystems durch stetige Belastung des Gelenks entgegengewirkt werden. Zudem sollte auf ausreichend Erholungszeiten geachtet werden, um dem Körper Zeit zur Regeneration zu gewährleisten. Bei Übergewicht kann zusätzlich von einer Gewichtsreduktion profitiert werden, um die Belastung auf das Gelenk zu reduzieren.
Ferner wird auf Bedenken und Ängste der Klientin eingegangen. Dabei gilt das Prinzip “Der Körper ist robust und anpassungsfähig”. Durch diesen Glaubenssatz können Bewegungsängste abgebaut werden.
Außerdem sollten eventuelle biologische Gegebenheiten bedacht werden. Dabei spielen Faktoren wie Geschlecht, anatomische Gegebenheiten der Hüfte und Körpergröße eine Rolle. Zudem wird der Klient dazu angehalten, möglichst Stress zu vermeiden.
Im Personaltraining wird die Klientin ab Tag 1 gefordert. Dadurch wird die Hüfte sukzessive immer belastungsfähiger und die Schmerzen können verschwinden.
Wenn Du mehr zu dem Thema Hüftrehabilitation wissen möchtest, dann schau gerne hier vorbei.
Die 5 häufigsten Fehler bei der Hüftrehabilitation
#1 Du planst nicht genug Zeit ein: Oft wird zu schnell das Gewicht einer Übung erhöht, oder es werden Übungen ausgetauscht. Die Hüftschmerzen sind jedoch in der Regel nicht über Nacht entstanden. Eine gute Rehabilitation benötigt also ausreichend Zeit, damit die Strukturen sich allmählich wieder an Belastungen gewöhnen können. Plane Dir also genug Zeit ein, ehe Du Deinen Plan entsprechend Deiner Belastungsgrenze anpasst.
#2 Fehlende Progression: Anders als in Punkt 1, bei dem zu schnell fortgeschritten wird, kann es einem Trainingsplan auch gänzlich an Progression fehlen. Diese ist jedoch nötig, um eine sukzessive Anpassung der Strukturen ansteigende Belastungen zu gewährleisten. Eine langsame, aber stetige Anpassung des Trainingsstresses an den Trainingsstand ist daher einzuplanen.
#3 Mobility, Mobility, Mobility: Wenn man das Internet durchforstet, findet man massenweise Mobility Übungen. An sich sind Mobility Übungen nicht schlecht, jedoch sollten diese nicht pauschal verschrieben werden. Die Hüftmobilität ist durch die individuelle Anatomie zum größten Teil vorgegeben. Du wirst also durch eine Mobility Übung sehr wahrscheinlich nicht mehr Mobilität in der Hüfte bekommen. Zudem können Mobility Übungen mehr Schaden als Nutzen anrichten (z.B., wenn die Hüfte eh schon hypermobil ist und es ihr eher an Stabilität fehlt.).
#4 Falsche Übungsausführung: Ein weiterer Fehler ist, dass die Übungen schlicht und einfach falsch ausgeführt werden. Dadurch kann es zu kompensatorischen Bewegungen kommen und es wird “am Ziel vorbei trainiert”. Es sollte also stets auf die korrekte Übungsausführung geachtet werden.
#5 Ignorieren von Schmerzen: Es sollte nicht “in den Schmerz hineintrainiert” werden. Vielmehr sollte die Übung so angepasst werden, dass diese schmerzfrei durchführbar ist. So kann schmerzfrei und sicher trainiert werden, bis die Übung wieder ohne Anpassung durchgeführt werden kann.
[1] Kim C, Nevitt MC, Niu J, Clancy MM, Lane NE, Link TM, Vlad S, Tolstykh I, Jungmann PM, Felson DT, Guermazi A. Association of hip pain with radiographic evidence of hip osteoarthritis: diagnostic test study. BMJ.
[2] Frank JM, Harris JD, Erickson BJ, Slikker W 3rd, Bush-Joseph CA, Salata MJ, Nho SJ. Prevalence of Femoroacetabular Impingement Imaging Findings in Asymptomatic Volunteers: A Systematic Review. Arthroscopy.
[3] Westermann RW, Lynch TS, Jones MH, Spindler KP, Messner W, Strnad G, Rosneck J. Predictors of Hip Pain and Function in Femoroacetabular Impingement: A Prospective Cohort Analysis. Orthop J Sports Med.
[4] Summers MN, Haley WE, Reveille JD, Alarcón GS. Radiographic assessment and psychologic variables as predictors of pain and functional impairment in osteoarthritis of the knee or hip. Arthritis Rheum.