Der Beckenboden - Ein Bereich der bei vielen Frauen erst in der Schwangerschaft oder nach der Geburt Beachtung findet. Bei Männern spielt er gedanklich oft erst im höheren Alter eine Rolle. Doch wieso ist dies so?
Der Beckenboden wird meist erst dann bemerkbar, wenn Inkontinenzprobleme auftreten oder nach der Geburt, wenn es darum geht, den Beckenboden wieder aufzubauen. Es ist jedoch zu empfehlen, sich schon vor dem Auftreten von Problemen und Einschränkungen mit dieser unterschätzten Region zu befassen und diese bewusst in den Alltag und in die Sporteinheiten zu integrieren. Denn neben der Kontinenzsicherung hat der Beckenboden noch viele weitere Aufgaben.
Der Beckenboden - genauer genommen die Beckenbodenmuskulatur - liegt tief im Inneren unseres Körpers. Sie ist von außen nicht sichtbar und stellt die Verbindung der tiefliegenden Bauch- und Rückenmuskulatur dar. Aus diesem Grund ist diese Muskulatur für die Stabilität unserer Körpermitte von entscheidender Bedeutung. Darüber hinaus ist sie sowohl für den Halt und das Tragen unserer Bauchorgane als auch für die reflektorische Rückfederung bei Belastungen, die zu einem erhöhten Bauchinnendruck führen, zuständig. Beim sexuellen Akt übernimmt die Beckenbodenmuskulatur wichtige Funktionen, da hier sowohl die Anspannung als auch die Entspannung von Bedeutung ist. Auch bei der Atmung und dabei besonders beim Ausatmen ist der Beckenboden aktiv.
Ich hoffe, ich konnte verdeutlichen, dass der Beckenboden viel mehr ist als “einfach nur” die Muskulatur ist, die das Baby während der Schwangerschaft hält oder im hohen Alter bedeutsam ist. Die entscheidende Rolle des Beckenbodens ist im gesamten Alltag nicht wegzudenken.
Vorteile von Beckenbodentraining
Ein regelmäßiges & gezieltes Beckenbodentraining bringt eine Reihe von Vorteilen mit sich. Nur einige wenige Vorteile möchte Dir hier einmal aufzeigen:
#1: Unterstützung einer guten Körperwahrnehmung und eines guten Körpergefühls
#2: Eine gesündere Körperhaltung
#3: Verbesserung von Rückenbeschwerden, Verspannungen und Fehlbelastungen
#4: Verbesserung des Halte- & Stützapparates
#5: Stabilität der Körpermitte
#6: Kontinenzsicherung & Vorbeugung von Inkontinenzproblemen
#7: Kontrolle der Atmung
#8: Verbesserung & Anregung der Verdauung
#9: Intensiveres Gefühl beim Sex
#10: Optimierung im Sport
#11: Vorbereitungen auf Schwangerschaft & Geburt
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Während Beckenbodentraining vor einiger Zeit noch als reine „Behebung“ von Inkontinenzproblemen oder als Wiederaufbautraining nach Schwangerschaft und Geburt betrachtet wurde, sehen mittlerweile immer mehr Menschen - nicht nur Frauen - die Vorteile an regelmäßigem kontinuierlichem Beckenbodentraining.
Doch wie sieht ein sinnvolles und effektives Beckenbodentraining denn nun aus? Ein ganzheitliches Beckenbodentraining setzt sich immer aus mehreren Aspekten zusammen: Mobilisation, Wahrnehmung & Aktivierung, bewusste Anspannung & Entspannung und dem reflektorischen Training, d.h. ein Training über den Automatismus des Beckenbodens. Es ist wichtig, den Beckenboden nicht isoliert zu betrachten, sondern immer im Zusammenhang mit seiner umliegenden Muskulatur.
Wahrnehmung und Aktivierung des Beckenbodens
Die folgenden Übungen orientiert sich an der Anatomie der Frau. Zu Beginn ist die Wahrnehmung entscheidend, weshalb im Folgenden drei Wahrnehmungs- & Aktivierungsübungen beschrieben werden. Die lassen sich super in den Alltag integrieren. Achte bitte bei allen Übungen auf eine aufgerichtete Körperhaltung, damit Dein Beckenboden gut mitarbeiten kann.
Orientierungspunkte
Zur besseren Vorstellung solltest Du zunächst 4 Orientierungspunkte abtasten. Ich empfehle Dir, diese Übung im Stand oder im Sitzen auf einer etwas härteren Unterlage durchzuführen:
- Das Schambein, das sich im vorderen Bereich unseres Beckens befindet.
- Das Steißbein, welches sich im hinteren Bereich unseres Beckens befindet.
- Und die zwei Sitzbeinhöcker, welche als knöcherne Punkte beim Sitzen spürbar sind.
Beckenbodenschichten
Unser Beckenboden besteht aus drei Schichten: Der äußeren, der mittleren und der inneren Schicht, welche man isoliert, wahrnehmen kann. Um die einzelnen Schichten wahrzunehmen, begibt man sich am besten in eine sitzende Position – gerne mit einem etwas härterem Untergrund (ist jedoch auch im Liegen oder im Stand möglich).
Äußere Schicht
Die äußere Schicht verläuft längs vom Steißbein zum Schambein und umgibt die Körperöffnungen wie eine Achterschlaufe.
Übung zur Wahrnehmung der 3 Körperöffnungen:
Anus: Schließe die Augen und schließe nun in kleinen pulsierenden Bewegungen Deinen Anus. Stelle Dir hierbei vor, wie Du versuchst Wind zurückzuhalten.
Vagina: Nehme nun Deine Vagina wahr. Als Bild kannst Du Dir hier vorstellen einen goldenen Luftballon von den Seiten her leicht zusammen zu drücken und wieder locker zu lassen.
Harnröhre: Es kursieren nach wie vor Meinungen, dass gutes Beckenbodentraining bedeutet, den Pipistrahl beim tatsächlichen Wasserlassen anzuhalten. Hier möchte ich Dir kurz eine Situation beschreiben: Du bist gerade auf der Toilette und möchtest Dich entleeren. Hierzu muss Dein Beckenboden entspannt sein. Und dann solltest Du ihn fürs „Training“ plötzlich wieder anspannen? Das macht wenig Sinn. Darüber hinaus bringt der Pipistopp die Gefahr mit sich, dass Restharn in der Blase zurückbleibt und so Entzündungen hervorrufen kann. Kurzum: Bitte einfach sein lassen.
Zur Wahrnehmungsübung eignet sich die Vorstellung eines Pipistopp tatsächlich hervorragend - jedoch nur in der Vorstellung.
Mittlere Schicht
Die mittlere Schicht ist eine Dreiecksform, welche quer zwischen den Sitzbeinhöcker bis hin zum Schambein verläuft.
Übung zur Wahrnehmung der Sitzbeinhöcker:
Setze Dich auf eine etwas härtere Unterlage, sodass Du Deine Sitzbeinhöcker gut wahrnehmen kannst. Zur besseren Wahrnehmung kannst Du auch hier gerne nochmals Deine Sitzbeinhöcker abtasten.
Stelle Dir nun vor, dass sich zwischen Deinen Sitzbeinhöckern ein unsichtbares Band befindet, das Du sachte zusammenziehst und wieder auseinander. Zur besseren Wahrnehmung kannst Du Dich auch gerne auf Deine Hand oder ein zusammengerolltes Handtuch setzen und Dir vorstellen, wie Du dieses zusammenkneifst. Wichtig ist hier, dass Deine Gesäßmuskulatur einspannt, bleibt und sich hierbei nicht zusätzlich anspannt.
Innere Schicht
Die innere Schicht ist die größte und kräftigste Beckenbodenschicht, die Du Dir wie ein U in Deinem Becken vorstellen kannst. Sie verläuft längs vom Steißbein zum Schambein.
Übung „Becken tanzen lassen“:
Die innere Beckenbodenschicht liebt Bewegungen. Lass Dein Becken tanzen. Setze Dich hierzu aufrecht auf einen Stuhl und bewege Dein Becken vor und zurück. Du kannst gerne auch kreisende Bewegungen mit einfließen lassen. Versuche dabei, den Oberkörper aufrecht zu halten.
Übung „In Dich hineinziehen“:
Um die innere Schicht zu aktivieren, kannst Du Dir vorstellen wie Du Dein Steißbein und Dein Schambein zueinander ziehst bis sich eine leichte Spannung entwickelt. Ziehe nun diese Spannung in Dich hinein nach oben. Wichtig: Versuche hier, nicht zu verspannen und nach einer kurzen Zeit wieder locker zu lassen.
Die tiefe Bauchmuskulatur hängt eng mit der inneren Schicht zusammen, deshalb kann es hier passieren, dass Du auch Deine Bauchmuskulatur spürst und diese mit aktiviert wird. Versuche auch hier, nicht zu verkrampfen.
Aktivierung des gesamten Beckenbodens
Nach der Aktivierung der einzelnen Schicht, kannst Du nun versuchen den gesamten Beckenboden zu aktivieren. Hierzu kombinierst Du alle drei Schichten miteinander. Stelle Dir vor, wie Du die äußere Schicht vom Anus bis hin zur Harnröhre wie ein Reißverschluss verschließt. Nun aktivierst Du die mittlere Schicht und ziehst den Reißverschluss gedanklich immer weiter nach oben bis hin zur inneren Schicht.
Die Beckenbodenanspannung und -entspannung kannst Du Dir im Wechsel wie die Bewegung einer Qualle im Meer vorstellen, die sie langsam zusammengeht und wieder auseinander.
Falls das Aktivieren der einzelnen Schichten nicht sofort klappt und Du alles anspannst außer Deinen Beckenboden, dann mache Pause und versuche es zu einem anderen Zeitpunkt und in ruhiger Umgebung noch einmal. Die Wahrnehmung Deines Beckenbodens benötigt Zeit und vor allem Übung, Übung, Übung.
Wie oft Beckenbodentraining?
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Der Beckenboden ist ein Muskel, wie jeder andere in unserem Körper auch. Es sollte deshalb kontinuierlich aktiviert werden und auch genügend Zeit für die Regeneration erhalten. Ganz arg wichtig ist, dass hier keine maximale Spannung aufgebaut wird, da dies eher kontraproduktiv sein und zu einem hohen Bauchinnendruck führen kann. Deshalb ist es hier zu empfehlen, nicht einmal sehr intensiv und dann nicht mehr zu trainieren, sondern lieber jeden Tag ein wenig und die Intensität step by step zu steigern. Beim Beckenbodentraining passt das Sprichwort: „Weniger ist mehr!“ sehr gut.
Zu Beginn empfiehlt es sich, mit kleinen Mobilisationsübungen wie z.B. Beckenkreisen oder die Beckenschaukel zu starten und dann langsam mit der Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur zu beginnen. Falls Du das erste Mal Beckenbodentraining absolvierst, empfehle ich Dir, mit kurzen Sequenzen zu starten und diese step by step zu steigern. 10 Minuten Beckenbodentraining am Tag mit verschiedenen Übungen und Aktivierungen á 3-5 Sekunden und mehrere Durchgänge reichen hier schon aus. Wichtig ist die Pause zwischen den Übungen und auch, beckenbodenentlastende Übungen und Entspannungsübungen zu integrieren, damit der Beckenboden nicht verspannt und zwischendurch entlastet wird. Zur Entlastung eignen sich verschiedene Umkehrübungen wie beispielsweise die Puppy Pose aus dem Yoga. Bei Übungen für den Beckenboden kann der Einsatz eines Booty Bandes sehr hilfreich sein.
Der Beckenboden im Alltag
In unserem Alltag passiert vieles unbewusst und dabei tatsächlich auch unbewusste Belastungen hinsichtlich unseres Beckenbodens. Im Folgenden erhältst Du 5 Tipps, wie Du Deinen Beckenboden im Alltag vor unnötigen Belastungen schützen kannst:
#1 Pressen auf der Toilette
„Ich gehe mal schnell noch auf die Toilette. Ich beeile mich!“ – Stopp! Diese Aussage empfehle ich in Zukunft aus Deinem Wortschatz streichen. „Schnell noch auf die Toilette“ – Hierbei passieren oft unbewusste Beckenbodenbelastungen. Ein Pressen auf der Toilette - sowohl beim Wasserlassen als auch bei der Stuhlentleerung - ist die Alltagsbelastung schlechthin, wenn es um das Thema Beckenboden geht. Nehme Dir Zeit für Deine Toilettengänge. Als Unterstützung:
- Beim Wasserlassen: Neige Dich mit Deinem aufgerichteten Oberkörper leicht nach vorne.
- Bei der Stuhlentleerung: Runde Deine Lendenwirbelsäule leicht ab oder stelle Deine Füße auf eine kleine Erhöhung. Tipp hier: Squatty Potty.
#2 Husten & Niesen
Hast Du schon mal stark gehustet und plötzlich gemerkt, dass Tröpfchen in dem Höschen gelandet sind? Falls ja, hast Du hier gemerkt, wie stark die Belastungen auf den Beckenboden sein können. Husten und Niesen können wir nicht unterbinden oder verändern. Was wir jedoch verändern können, ist unsere Körperhaltung. Deshalb meine Empfehlung: Wenn Du merken solltest, dass sich ein Nieser oder eine Hustattacke anbahnt, bleibe aufgerichtet und drehe Deinen Oberkörper zu Seite und niese oder huste in Deine Ellenbogenbeuge hinein. So vermeidest Du zusätzlichen Bauchinnendruck.
#3 Aufgerichtete Körperhaltung
Unsere Haltung spielt jedoch nicht nur beim Niesen und Husten, sondern in unserem gesamten Alltag eine wichtige Rolle. Die Art und Weise wie wir Sitzen, Stehen oder Gehen wirkt sich auf unseren Beckenboden und unseren gesamten Körper aus. Als beckenbodenschonend eignet sich eine neutrale Ausrichtung des Beckens, eine gerade Wirbelsäule und eine entspannte Haltung des Schulter- und Nackengürtels.
#4 Bauchmuskelübungen
„Let your belly burn!“ Das ist beim Beckenbodentraining Fehlanzeige. Jegliche Form der extremen Rumpfbeuge & schnelle ruckartige Belastungen stellen Belastungen für den Beckenboden dar. Wenn Du unter akuten Beckenbodeneinschränkungen leidest oder gerade frisch Mami geworden bist, solltest Du unbedingt auf Rumpfbeugeübungen wie Crunches, Sit-ups und Co. verzichten.
Beim Beckenbodentraining geht es darum, die Körpermitte von innen nach außen zu trainieren. Das bedeutet, die tiefliegende Muskulatur anzusteuern, anstatt nur die oberflächlichen geraden Bauchmuskeln. Wusstest Du, dass es nicht die geraden Bauchmuskeln sind, die Deinen Bauch flach machen und wie ein Korsett schnüren, sondern die tiefliegenden, schrägen und querverlaufenden?
#5 Bringe Entspannung in Deinen Alltag
Oft ist die Rede von einem geschwächten Beckenboden. Doch in einem ganzheitlichen Beckenbodentraining steht – neben der Kräftigung der Muskulatur – die Entspannung ganz weit oben. Hierzu empfiehlt es sich, den Schulter- & Nackenbereich zu beobachten und auch hier für Entspannung zu sorgen.
Denn, wenn dieser Bereich verspannt ist, wirkt sich das ebenfalls auf den Beckenboden aus. Auf jede Anspannung sollte immer eine Entspannung folgen. Deshalb hat Beckenbodentraining auch einen meditativen Aspekt und kann zur Stressreduktion beitragen.
Starte noch heute mit Deinem ersten Beckenbodentraining!
Wie Du hoffentlich bemerkt hast, ist Beckenbodentraining nicht nur Beckenbodentraining als solches. Während es früher noch als das „Omi-Training“ angesehen wurde, weiß man heute, dass der Fokus auf den verborgenen Bereich ziemlich viele Vorteile mit sich bringen kann. Falls Du gedacht hast, Beckenbodentraining ist langweilig und öde, dann kann ich dir hier sagen, dass es das definitiv nicht ist, sondern unfassbar spannend und intensiv. Zu Beginn ist es – wie beschrieben – erstmals zu empfehlen, mit kleinen ruhigen Übungen einzusteigen, aber diese können je nach individueller Verfassung sehr schnell gesteigert werden. Modernes, ganzheitliches Beckenbodentraining ist cool, lässig und sexy und wirkt sich auf verschiedene Bereiche Deines Körpers und Deines Lebens aus. Deshalb ist meine Empfehlung ganz klar: Beckenbodentraining sollte jede Person in ihren Alltag & Training integrieren – egal ob Frau oder Mann, alt oder jung, Mama oder Sportlerin oder beides.
Hiermit hast Du einen kleinen Einblick in ein umfassendes Thema erhalten. Falls Du wissen möchtest, was es mit ganzheitlichem Training genau auf sich hat und wie Du dieses gezielt einsetzen kannst, dann freue ich mich, Dich bei meinen Online-Kursen begrüßen zu dürfen.