Was ist eigentlich dieses Gefühl, das man bei Muskelsteifheit verspürt? Verändert sich dabei etwas im Körper oder ist es etwas anderes, was dieses Gefühl auslöst? In diesem Artikel gehe ich darauf ein, inwieweit Dein Muskel daran schuld ist, dass Du dieses Gefühl der Steifheit empfindest und wie Du die Beweglichkeit wieder herstellen kannst.
Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, uns vor sämtlichen Gefahren im Leben zu schützen. Wenn es annimmt, dass ein bestimmter Körperbereich mehr Schutz benötigt, dann kann es beispielsweise die Beweglichkeit für das Gelenk verringern oder den Leistungsoutput minimieren. Wenn Dein Gehirn Deinen unteren Rücken für “schutzbedürftig” hält, dann kann es zu einer Versteifung führen. Diese Schutzbedürftigkeit ist auch der Grund für Dein Steifheitsgefühl. Gehen wir davon aus, Du hast dieses Gefühl im unteren Rücken. Dann ist dies vermutlich Deinem monotonen Alltag geschuldet, sodass Du Deinen unteren Rücken nicht häufig und vielfältig belastest. Dies ist aber wichtig, um die Anspannung zu vermeiden. Zuerst schauen wir uns die Grundlagen an.
Was bedeutet Steifheit?
Zuerst müssen wir zwei Unterscheidungen machen:
1) Objektive Veränderungen biomechanischer Zustände
2) Das subjektive Gefühl der Steifheit
Das Erste betrifft also Deinen physischen Körperzustand. Was passiert muskulär im Rückenstrecker, wenn Du Dich steif fühlst? Ist er härter, fester oder und hat mehr Spannung? Oder passiert dort nichts von dem?
Das Zweite betrifft das Gefühl, welches Du über einen bestimmten Körperbereich entwickelst. Die Entwicklung eines solchen Körpergefühls ist ein fundamentaler Aspekt der Selbstwahrnehmung und hat wichtige Funktionen. Zum Beispiel, wenn Du das Gefühl hast, dass Dir “kalt” ist, dann verursacht es die Suche nach Wärme.
Das Gefühl der Muskelsteifheit hat viel mehr mit Deiner Wahrnehmung, als mit den physischen Eigenschaften Deines unteren Rückens zu tun. Dies wissen wir, weil Untersuchungen zeigen konnten, dass Personen, die dieses Steifheitsgefühl haben, keine biomechanische Steifheit aufwiesen. Sie hatten also Punkt 2 aber nicht Punkt 1. Umgekehrt gibt es auch Personen, die Punkt 1 haben aber nicht Punkt 2. Das Steifheitsgefühl hat aber einen Zweck. Mehr dazu erzähle ich Dir weiter unten in diesem Artikel.
Deine Gehirnkarte
Wir alle haben eine virtuelle Karte unseres Körpers in unserem Gehirn. Diese ermöglicht zu wissen, wo unsere Körperteile sind und wie wir sie im Raum bewegen und kontrollieren können.
Bei chronischen Schmerzen kann diese Karte unpräzise sein. Es ist so als ob jemand gegen die Karte gestoßen wäre und ihr Ausrichtung verschoben hat. Manche Körperteile fühlen sich dann nicht "richtig" an, als wären sie rausgesprungen oder an der falschen Stelle. Obwohl das Gelenk eigentlich 100% stabil ist! Wir wissen, dass Gelenke nicht "rausspringen" können, außer bei einem schweren Trauma. Dieses Trauma ist jedoch bei den meisten, die dieses Gefühl haben, nicht vorhanden!
Die (Gehirn-)Wanderkarte
Stell Dir vor, Du bist draußen in der Wildnis. Du benötigst eine Wanderkarte mit so vielen Informationen wie möglich. Du musst wissen, wo Flüsse sind, gefährliche Tierlandschaften, Wanderwege, Brücken, Höhenveränderungen und vieles mehr. Je mehr Infos Du hast, desto besser und sicherer kannst Du Dich in der Wildnis navigieren. Aber Du kannst Dich nicht mehr navigieren, wenn Deine Wanderkarte falsch ausgerichtet wurde!
Bei Schmerzen geschieht ähnliches. Deine Gehirnkarte ist nicht mehr klar. Dein Gehirn fühlt bestimmte Körperteile nicht mehr so gut, es fühlt sich komisch an. Als ob man das Gefühl hat, dass etwas blockiert oder das Gelenk fehl am Platz ist. Aber keine Sorge! Das ist NORMAL und kann auch wieder durch ein passendes Training verbessert werden! Dies sind normale Körperwahrnehmungsstörungen. Du hast momentan eben einfach keine gute Kontrolle über diesen Bewegungsbereich.
Das Mitteilungsbedürfnis unseres Gehirns
Schmerzen entstehen durch viele neuronale Aktivitäten im Gehirn. Wenn Du Schmerzen spürst, will Dir Dein Gehirn etwas damit sagen. Wenn Du Dich verletzt, sagt es “jetzt bitte mal kurz nicht so viel bewegen”. Schmerz ist also ein Alarmsignal!
Bei chronischen Schmerzen ist das etwas Anderes. Der Alarm ist häufig fehlgeleitet und funktioniert nicht mehr so genau. Weil die Gehirnkarte verschwommen ist und das Alarmsystem nicht mehr zuverlässig funktioniert. Das Gehirn geht deswegen auf Nummer sicher und stuft den unteren Rücken als besonders “schutzbedürftig” ein. Dadurch entsteht die oben genannte Muskelsteifheit.
Hilft Dehnen bei Muskelsteifheit?
Dehnen ist ein weiterer Input für das Gehirn, um die Gefahrenlage anders einzuschätzen. Wird das Trainieren der Beweglichkeit dem Gehirn helfen diese Gefahrenlage anders einzuschätzen? Wird es die Gehirnkarte wieder präziser machen?
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Es gibt sehr viele Arten von Dehnen. Passive, aktive, statische, ballistische, dynamische, isolierte... Unser Gehirn wird seine "Meinung" über die Gefahrenlage eines bestimmten Körperbereiches wahrscheinlich nicht ändern, nur weil wir es dehnen. Dafür ist der Input nicht groß genug! Kann man sich besser dadurch fühlen? Ja! Es gibt jedoch weitaus bessere Ansätze, um dieses Problem der Steifheit anzugehen.
Anpassung an Deinen Alltag
Ein größerer Input wäre beispielsweise herauszufinden, welche Anforderungen auf Dich im Alltag warten, die Dich überhaupt in diese Lage des Steifheitsgefühl gebracht haben. Warum stuft Dein Gehirn Deinen Rücken als “schutzbedürftig” ein? Kannst Du ihn nicht gut ansteuern? Auf welche Art belastest Du Deinen Körper im Alltag?
Angepasst an diese Fragen sollte bestenfalls ein Training stattfinden, welches genau diese Parameter wie z.B. Stabilität, Kraft, Schnellkraft Kontrolle in dem Maße trainiert. Die besten Trainingserfolge entstehende dann, wenn es direkt in Deinem Alltag angewendet wird. Du solltest Deine alltäglichen Gewohnheiten daran anpassen. Das führt dazu, dass die Gehirnkarte wiederum präziser wird. Dein Gehirn lernt, den unteren Rücken in unterschiedlichen Positionen wieder anzusteuern. Es kann ihn kontrollieren und weiß in sämtlichen Körperlagen, wo er zu finden ist.
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Das Ziel - Muskelsteifheit loswerden
Ein Gehirn mit breiten Bewegungsfunktionen ist ein glückliches Gehirn. Dein Gehirn liebt vielseitige Bewegung! Brücken, Berge, Wege, Flüsse... Sie sind alle von Nöten für eine präzise Karte! Wenn Du sie wieder auf die Karte zeichnen willst, dann benötigst Du zuerst einen Stift, für den Berg und die Brücke einen Zirkel und für den Fluss vermutlich ein Geodreieck. Du brauchst also unterschiedliche Elemente!
Genauso benötigt Dein Gehirn unterschiedliche körperliche Herausforderungen, damit die vielen Elemente auf der Karte wieder aufgebaut werden können! Kraft, Ausdauer, Koordination, Schnellkraft, Mobilität. Je mehr Elemente Du dem Körperteil gibst, desto präziser wird Deine Gehirnkarte wieder!
Quellen:
Lehmann, Greg. (2016). Recovery strategies - pain management.Stanton & Moseley, Wong, Kawchuk. Feeling stiffness in the back: A protective perceptual inference in chronic back pain. 10.1038/s41598-017-09429-1