Rückenbeschwerden oder Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich werden oft mit einer "falschen" Körperhaltung in Verbindung gebracht. Wie oft hast Du Dir “Steh gerade!" oder "Setz Dich gerade hin!" anhören müssen? Wie oft wurde Dir eine korrekte Haltung erklärt? Gibt es überhaupt eine richtige Haltung?
Viele von uns verbringen den Alltag sitzend vor dem PC, im Auto, vor dem Fernseher, beim Essen und so weiter. Auch dann, wenn wir abends z.B. zum Laufen gehen, bleiben dennoch viele Möglichkeiten an Bewegung unberührt.
Wie lautet die Definition einer "korrekten Haltung"?
Wenn wir nun sitzen oder stehen, denken wir zudem an eine gerade, aufrechte Haltung. Wir assoziieren dieses Muster mit weniger Schmerzen im Schulter-, Nacken- und Rückenbereich und gehen infolgedessen davon aus, dass es ästhetisch ansprechender sei. Doch dadurch rauben wir dem Körper weitere Möglichkeiten an Bewegung im täglichen Leben. Eine kerzengerade, fast schon steif wirkende Haltung über einen längeren Zeitraum hinaus ist meiner Meinung nach eine Theorie, die genau aus diesem Grund hinterfragt werden darf und nicht für jeden geeignet oder funktionell sein muss. Auch im Sitzen könnten wir durch häufigere Änderung der Position ein wenig mehr Vielfalt erlangen.
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Genauso verhält es sich mit dem Glaubenssatz, isolierte, unnatürliche Muskelkraftübungen würden 8-9 Stunden Sitzen oder Stehen kompensieren. Solche Gleichungen machen in der Praxis wenig Sinn. Abwechslung in der Sitz- und Stehposition, Abwechslung in Kraft- und Ausdauerübungen, also zusammengefasst, das Spielen mit Bewegung bringt Dich zurück zu natürlichen Verhaltensweisen und funktioneller Bewegung. Es fördert Dein intuitives Handeln und bringt Dich damit zu einer guten Kompromisslösung zwischen dem, was Dein Körper braucht und dem, was Deinem Körper bereits unnötigen Stress kosten könnte. An dieser Stelle möchte ich betonen, dass allerdings nichts automatisch gut oder schlecht, also schwarz oder weiß ist. Es kommt natürlich immer auf die Situation und auf die individuellen Voraussetzungen an.
Betrachten wir unsere Gelenke etwas genauer, so können wir zahlreiche Bewegungsmöglichkeiten in die verschiedensten Richtungen beobachten; eben eine sehr große Bewegungsvielfalt. Lassen wir mehrere Gelenke zusammenspielen, so entsteht ein noch größeres Spektrum. Sie aktivieren und fördern dadurch zahlreiche weitere Funktionen des menschlichen Körpers.
Wenn es eine korrekte Haltung gibt, dann würde sie lauten: “Die beste Haltung ist die nächste Haltung”. Die Erklärung dazu ist ganz anders: Das, was uns allen am meisten fehlt bzw. das was uns das moderne Leben in Sachen Bewegung primär raubt ist die Bewegungsvielfalt.
Wieso ist die nächste Haltung die beste Haltung?
Unsere Gelenke leben durch Bewegung. Sie werden tatsächlich erst durch die Bewegung mit wichtigen Nährstoffen versorgt. Außerdem wird durch Immobilität wichtiges Gewebe abgebaut. Dein Körper ist darauf programmiert, Energie zu sparen, und baut somit schnell unnötigen, teuren Ballast ab; “If you don´t use it, you'll lose it”.
Gehen wir diesen Gedanken nach, so kristallisiert sich schnell heraus, dass Vielfalt und Häufigkeit in Sachen Bewegung entscheidende Variablen sind. Spreche ich nun von “die beste Haltung ist die nächste Haltung” so ist damit gemeint, dass – ganz egal wie Du nun sitzt oder stehst – Deine Gelenke nur darauf warten, bewegt zu werden und eine andere Position einzunehmen. Und das immer wieder auf's Neue.
Welche Körperhaltung lindert Nacken- und Rückenbeschwerden?
Denke nun an Deine persönlichen Gewohnheiten und Muster. Wie sitzt Du auf Deinem Schreibtischstuhl? Wie stehst Du, wenn Du auf jemanden wartest? Wir wissen nun, dass eine steife, gerade Haltung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht der natürlichen Funktionalität des Körpers gerecht werden kann, vor allem dann nicht, wenn Du Dich permanent darauf konzentrieren müsstest.
Auch dann, wenn wir Nackenverspannungen und Rückenbeschwerden häufig mit einer krummen Haltung am Arbeitsplatz in Zusammenhang bringen, ist das noch keine Garantie dafür, dass die Ursache genau in einer bestimmten Art der Haltung liegt. Genauso wenig liegt dessen Lösung darin. Zahlreiche andere Faktoren, wie z.B. auch die Muskelkraft, spielen eine entscheidende Rolle. Doch letztendlich beginnt auch Muskelkraft mit mehr Bewegungsvielfalt.
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Leidest Du unter regelmäßigen Nackenbeschwerden, kannst Du Dir vielmehr die richtigen Fragen stellen: Wechselst Du häufig Position? Machst Du Pausen vom Sitzen? Sind Deine Muskeln chronisch angespannt? Was macht Deine Haltung außerhalb der Arbeit? Wie kräftig ist Deine Muskulatur insgesamt? Wie verhältst Du Dich unter Stress? Versuche durch die Wahrnehmung, Deine persönliche Situation und Deine individuellen Muster achtsam zu beobachten und damit kennenzulernen.
Mehr Bewegung für mehr Beschwerdefreiheit
Unser bewegungsarmer Alltag hat uns verlernt Vielseitigkeit in der Bewegung zu erleben, aber nicht nur das. Medienkonsum wie auch Netflix, Social Media und Co. nehmen uns zusätzlich die Fähigkeit, uns intuitiv zu bewegen. Dadurch haben wir auch Achtsamkeit verloren, den Wert der Wahrnehmung vergessen und suchen dadurch zunehmend die Antworten eher im Außen, anstatt auf unserem Körper zu hören. Die Wahrnehmung lässt uns hingegen präsent sein.
Im Kontext der Bewegungsvielfalt lässt uns die Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt und auf uns selbst wieder lernen, uns intuitiv und natürlich zu bewegen. Wir können dadurch lernen, bewusst bestimmte Muskeln anzuspannen und zu entspannen. Zusammengefasst heißt das, Achtsamkeit schenkt uns wiederum den Zugang zu unserem Körper und die Fähigkeit uns bewusst und vielseitig zu bewegen. Dadurch wird aus einem unnatürlichen, erzwungenen Bewegen bzw. “Halten” ein Spielen mit der Bewegung.
3 kleine Übungen/Ratschläge für Deinen Alltag
#1: Wenn Du das nächste Mal am Schreibtisch sitzt, kannst Du versuchen die Position häufiger zu verändern. Schaue mal, was alles bereits im Sitzen möglich ist. Nimm Dir etwa ein kurzes Fitnessband oder ein langes Fitnessband mit ins Büro und nutze die Pausen, um von der Übungsvielfalt durch diese Hilfsmittel zu profitieren. Beobachte außerdem, wie es sich anfühlt.
#2: Wenn Du das nächste Mal spazieren gehst, kannst Du versuchen Dich voll und ganz auf Deinen Körper zu konzentrieren. Beobachte, wie Du Dich bewegst, was sich bewegt, was angespannt ist, wo Du hingegen entspannt bist und so weiter. Nimm einfach wahr. Dadurch trainierst Du zudem Deine Wahrnehmungsfähigkeit und erreichst eine meditative Wirkung.
#3: Baue sogenannte "sitting breaks" ein, also kleine Pausen vom Sitzen, in denen Du 2-3 Übungen auswählst und diese im Wechsel für etwa 2 Minuten durchführst. Funktionelles Krafttraining stärkt Deine Muskulatur, die eine natürlich stützende Haltung, egal in welcher Position, fördert.
Mache Dir das über Deine Körperhaltung bewusst
Die eine Haltung, die uns vor Schmerzen und Beschwerden bewahrt, die gibt es nicht. Versuche daher nicht wie erzwungen eine vermeintlich korrekte Haltung einzunehmen. Erinnere Dich viel mehr daran, mit Deiner Bewegungsfähigkeit zu spielen. Setze den Fokus auf Vielfalt und Häufigkeit. Dadurch tust Du nicht nur Deinen Gelenken Gutes, sondern förderst zudem die Entspannung Deiner Muskeln, sowie das spielerische, intuitive Bewegen.
Die Wahrnehmung und Achtsamkeit sind zudem wichtige Elemente, die ohne größeren Aufwand im Alltag einzubauen sind, aber einen ersten essentiellen Schritt zu einer natürlichen und artgerechten Bewegung darstellen.